„Als ich meine erste Bach-Matthäuspassion gesungen habe, fiel es mir schwer, das Rezitativ über den Tod von Judas zu gestalten, weil ich die Interpretationen von vielen anderen Evangelisten im Ohr hatte, und ganz ohne darüber nachzudenken in deren Fußstapfen getreten bin: Den Judas als Verräter, Feigling, Bösewicht darzustellen. Das wollte ich aber nicht tun.“ Benedikt Kristjánsson hat seine eigene Sicht auf die biblische Gestalt, die sich im christlichen Teil der Welt als Erzbösewicht ins kollektive Gedächtnis eingeprägt hat. Er will ihn nicht nur als die explizit negative Figur sehen, die für den Tod Jesu verantwortlich ist, sondern als jemand, der seinen Teil zum unvermeidlichen Weg der Opferung des Messias und damit zum Kernstück der christlichen Lehre beigetragen hat. Eine eigene Sicht hat Kristjánsson auch von einen der größten Stars der Musikgeschichte: Johann Sebastian Bach. Er wählt einzelne Arien und Rezitative aus, um sein Bild von Judas zu zeichnen, und tatsächlich gelingt, was an Bach so oft fasziniert: Er erscheint wieder einmal ganz neu.